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Er wusste, dass man länger ohne Nahrung leben kann, als ohne etwas zu trinken. Die unbarmherzige Sonnenglut hatte ihn bald ausgedörrt. Er fieberte. Wenn er erschöpft ein paar Stunden schlief, träumte er von Wasser, von Orangen und Datteln. Dann erwachte er zu schlimmerer Qual und taumelte weiter.
Da sah er in einiger Entfernung eine Oase. Aha, eine Fata Morgana, dachte er. Eine Luftspiegelung, die mich narrt und zur Verzweiflung treiben wird, denn in Wirklichkeit ist gar nichts da.
Er näherte sich der Oase, aber sie verschwand nicht. Er sah sie im Gegenteil immer deutlicher: die Dattelpalmen, das Gras und die Felsen, zwischen denen eine Quelle entsprang. Es kann natürlich auch eine Hungerfantasie sein, die mir mein halb wahnsinniges Hirn vorgaukelt, dachte er. Solche Fantasien hat man ja in meinem Zustand. Natürlich – jetzt höre ich sogar das Wasser sprudeln. Eine Gehörhalluzination. Wie grausam die Natur ist! Mit diesem Gedanken brach er zusammen. Er starb mit einem lautlosen Fluch auf die unerbittliche Bösartigkeit des Lebens.
Eine Stunde später fanden ihn zwei Beduinen.
„Kannst du so etwas verstehen?“ sagte der eine zum anderen.
„Die Datteln wachsen ihm ja beinahe in den Mund – er hätte nur die Hand auszustrecken brauchen. Und dicht neben der Quelle liegt er, mitten in der schönen Oase – verhungert und verdurstet. Wie ist das nur möglich?“
„Es war ein moderner Mensch“, antwortete der andere Beduine, „er hat es nicht für möglich gehalten.“
Parabel von Kadidja Wedekind